Der soziale Fersengang


Liebe Leser,

Ballengang_sozialer_Fersengang_Heisel
Der soziale Fersengang ist erlernt
Inspiriert durch ein phantastisches Video möchte ich heute ein Thema aufgreifen, das mich auch auf meinen Seminaren intensiv beschäftigt. Sehr häufig tritt die Frage auf, wie es denn dazu kommt, dass wir unseren natürlich veranlagten (Ballen-)Gang zugunsten des Fersengangs verlieren.  

Bevor ich dem (Ver)Lernen Aufmerksamkeit widme, will ich mit einem weit verbreiteten Dogma der Ballengang-Community aufräumen:

Immer wieder wird behauptet und gegenseitig zitiert, dass der Ballengang von allen Kindern sofort und intuitiv eingesetzt wird. Dem kann ich aus persönlicher Erfahrung nicht uneingeschränkt zustimmen. Eher beobachte ich – und finde bei pädagogischen Fachkräften und Eltern auch Zustimmung- dass die Art des Gehens ein äußerer Ausdruck des persönlichen Temperaments eines Babys oder Kleinkinds ist. Nicht anders als das Schreiverhalten, Schlafverhalten, Spielverhalten, sprachlicher Ausdruck etc. Daher sollten wir uns hüten, dogmatisch an das Thema „Gehen“ heran zu gehen oder gar unsere Kinder vorschnell zu bewerten und wie ein Objekt verformen zu wollen, wie es unserer rationalen oder idealistischen Sicht beliebt.

Doch wie lernen wir nun das Gehen und wie kommt es, dass wirklich fast nur Fersengang praktiziert wird? Ich werde mich hier recht kurz fassen. Das „Lernen“-Thema füllt ganze entwicklungspsychologische Bände…

Wenn wir geboren werden, sind wir mit allerlei Reflexen ausgestattet, die zum Teil sogar noch aus der evolutionären Reptilienzeit stammen. Diese Reflexe machen anfangs noch Sinn und sind zum Teil überlebensnotwendig. Ohne Saugreflex gäbe es keine Ernährung und ohne Greifreflex würden zumindest Affenbabys sich nicht an dem Fell ihrer Mutter festhalten, wenn diese z. B. flüchten muss. Auch zur Fortbewegung gibt es Reflexe wie beispielsweise den Schreitreflex aber auch die kontralaterale Bewegung des Krabbelns, die exakt so von Echsen praktiziert wird. Für unsere weitere Entwicklung als anpassungsfähiges, lernfähiges Wesen ist es jedoch sehr wichtig, zu gegebener Zeit fast alle diese frühen Reflexe wieder zu verlieren! Daher ist es wesentlicher Bestandteil der Grunduntersuchungen des Kinderarztes, eben genau diese Reflexe zu testen und ihr Auftreten bzw. Verschwinden zu dokumentieren. Größere Abweichungen vom normalen Verlauf können Hinweise auf Entwicklungsstörungen sein, die dann frühzeitig erkannt und gegebenenfalls behandelt werden können.

Auch zum Gehen Lernen müssen wir einige angeborene unflexible Grundbewegungsmuster verlassen und eigene aktive Lernwege beschreiten.

Genau an diesem Punkt passiert es, dass wir alle unsere direkten Bezugspersonen zu imitieren beginnen.

Vom ersten bis etwa dritten Lebensjahr erreicht unsere Fähigkeit zum Beobachten und Nachahmen einen sonst nie erreichten Höhepunkt. Deshalb findet dann auch die Prägung der Muttersprache statt, die genau dann und nur dann erlernt wird. Damit einhergehend greift auch ein Wahrnehmungsfilter ein: Während Säuglinge beispielsweise noch alle Laute aller Sprachen ganz differenziert heraushören können, beschränkt sich diese Vielfalt etwa ab dem 12. Lebensmonat nur noch auf die relevanten Laute der Umwelt. Also auf das, was das Baby täglich umgibt. Alles andere verliert an Relevanz und wird schlicht im späteren Leben nicht mehr in der Klarheit eines „native speakers“ wahrgenommen und auch nur noch annähernd so ausgesprochen.

Nun versetzen wir uns in ein Kind genau dieses Alters, das gerade die Aufrichtung auf die eigenen Füße durch eine Mischung aus angeborenen und erlernten Bewegungen durch Versuch und Irrtum geschafft hat. Die ersten Gehversuche werden noch dem ihm eigenen Bewegungsrepertiore entspringen. Relativ viele Kinder werden zunächst den Vorfuß als Hauptkraftquelle zum Landen und Abdrücken vom Boden benutzen. Einige sind in der Tat dazu veranlagt, sich schwerer zu bewegen und sehr früh von sich aus mehr fersenbetont gehen. Was aber alle Babys vereint, ist das perfekte unbewusste Nachahmen ihrer Bezugspersonen. Ja, wir „Großen“ werden regelrecht ausgesaugt: Unser Gesten, unsere Worte, Mimik, Tätigkeiten, Vorlieben und natürlich auch die Fortbewegung …

Wie gut und früh dieses Nachahmen funktioniert, sieht man auf recht unterhaltsame Weise in diesem Video, das ich entdeckt habe und auf meinem Kanal zur Verfügung stelle:

Es ist nicht schwer zu erahnen, welchen Einfluss dieses Nachahmungslernen auf das hat, was die Alltäglichste aller Bewegungen ist: Das Gehen!
Wie wir alle beobachten können, bewegen sich fast 100% aller Menschen unseres Kulturkreises im sogenannten Fersengang. Das Kleinkind kann also nichts anderes in seinem persönlichen Umfeld wahrnehmen und wird dies ebenso nebenher übernehmen wie alle anderen Gewohnheiten und Gepflogenheiten, Eigenarten – und in ganz besonderem Maß die Muttersprache. Dazu bedarf es auch keiner Aufforderung oder einer bestimmten Pädagogik. Es passiert aus einem natürlich ablaufenden Lernprozess heraus, in dem wir uns sehr früh an unsere direkte Umgebung sozial anpassen.

Also kann man unseren Fersengang auch als einen sozialen Gang oder allgemein als soziales Verhaltensmuster betrachten.

Dennoch spielen auch andere Faktoren wie das zum Fersengang zwingende Schuhwerk eine große Rolle. Doch selbst wenn Kinder viel barfuß unterwegs sind oder – was der heutige Trend ist – „Kinder-Barfußschuhe“ tragen, wird es dennoch eher zum Fersengang neigen, wenn das Umfeld genau das vorlebt.
Hierzu kann ich natürlich keine objektive wissenschaftliche Studie vorweisen. Es entspricht lediglich meiner eigenen Beobachtung und den Erfahrungen meines persönlichen und beruflichen Umfelds.
So gesehen wird der (Fersen-)Gang durch soziales Lernen kulturell vererbt.

Wie können wir nun damit umgehen?

Ich persönlich sehe das recht entspannt: Das sich Einlassen auf seinen Körper in all seinen Funktionen und Feinheiten ist nun mal immer noch eine zunächst sehr individuelle Angelegenheit. Jeder entscheidet für sich, inwiefern er das Potential einer feinen Selbstwahrnehmung entdecken und nutzen möchte. Es kann weder verordnet noch durch Unterricht erzwungen werden. Also kann man Kindern gegenüber einfach nur ein Vorbild sein, ganz ungezwungen, ohne Druck, sondern ganz selbstverständlich und auf keinen Fall (be)wertend! Dann hat es die Chance, unbewusst und damit auf die effizienteste Weise zu lernen.

Ein bewusstes Umlernen setzt immer die eigene Erkenntnis und Selbstreflexion voraus. Deshalb wird es ab dem Jugendalter immer wieder Gelegenheiten geben, aus eigenem Antrieb heraus sein Gangbild genauer zu betrachten und ggf auch bewusst umzuwandeln.

Wenn Sie einen effektiven und einfachen Einstieg in das natürliche Ballengangmuster suchen, dann lade ich Sie zu meinem -> kostenlosen 10-teiligen Email-Kurs ein!

Ich bedanke mich für das Lesen und verbleibe mit herzlichem Gruß,

Ihr Stefan Heisel

Ballengang_Seminar_StefanHeisel

3 Gedanken zu „Der soziale Fersengang

  1. Vielen Dank für diesen undogmatischen Artikel!
    Er regt an zum Denken, zur Beobachtung unserer Mitmenschen und zur Selbst-Reflexion des eigenen Ganges.

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