Ballengang im Alltag (4)


oder: Wie die Traglast uns beeinflusst

Liebe Leser,
was passiert eigentlich mit dem Gang, wenn wir etwas tragen oder andere Belastungen während der Fortbewegung haben?
Haben Sie auch schon bemerkt, dass das Tragen von Dingen stark die Gangart verändert?

Nehmen wir als Beispiel einen schwereren Rucksack oder eine Tasche, ein Bierkasten oder Ähnliches.

Bereits öfter erhielt ich persönliche Nachfragen, ob denn der Ballengang in solchen Situationen nicht mehr möglich ist.

So richtig erfassend ist diese Frage nur im persönlichen Coaching zu klären, da sehr viele Faktoren entscheidend dafür sind, ob wir uns auch bei Belastung noch ökonomisch bewegen oder ob wir dann in suboptimale Kompensationshaltungen geraten und Bewegungen, die sonst gut funktionieren, schlicht „vergessen“.

Dennoch möchte ich auf entscheidende Punkte aufmerksam machen, die jeder bei sich beobachten und ggf. in sein Bewegungsverständnis integrieren kann.

Um uns auch unter Traglast noch mit hoher, körperfreundlicher Effizienz bewegen zu können, sollte die Bewegung zunächst ohne Last und sonstige „Störfaktoren“ optimiert werden. Wie das geschieht, habe ich schon in vorigen Artikeln sowie dem E-Mail-Kurs ganz ausführlich beschrieben. Ich fasse dies kurz zusammen in dem Satz:

Die Rumpfarbeit entscheidet über jegliche Bewegungsqualität.

Der Fußaufsatz beim Gehen ist eine Folge der Art und Weise der Bewegungseinleitung im Rumpf.

Folglich ist es einleuchtend, dass es beim Ballengang, entgegen der Suggestion „Ballen“, rein um die Nutzung des Rumpfes geht. Erst diese hat dann – im nächsten Step – zur Folge, dass die Bewegungskette im Sprunggelenk beginnt und damit der Vorfuß automatisch eine wichtige Funktion bei Landung und Abdruck bekommt.

So weit, so gut 😉

Wir können uns freuen, wenn unser Körper zunächst mal im „Urzustand“ – also ohne beeinträchtigende Kleidung/ Schuhe – aus dem Rumpf heraus seine biomechanisch effizientesten (also auch ökonomischsten) Alltagsbewegungen spontan anwendet.

Sobald aber irgendetwas stört, und seien es nur Schuhe oder aber, wie die heutige Fragestellung lautet, eine Traglast, dann bringt das den fein abgestimmten Ablauf durcheinander.
Und zwar in zweierlei Hinsicht:

1. Auf der Wahrnehmungsebene gibt es Druck auf die Schulter, Zug nach unten über die Hände oder auch eine bloße Berührung, die normalerweise nicht oder selten im Alltag vorkommt. Diese Eindrücke verändern das Körpergefühl insgesamt und lösen dementsprechend andere Reaktionen aus als bestünden diese Störungen nicht.

2. Die Folge davon ist, dass neue Bewegungsmuster (wie beispielsweise der Ballengang) von diesem Sinneseindruck überlagert werden. Konkret verändert der Körper schon im Rumpf seine Grundhaltung und seine Bewegungsansteuerung, weil der Reiz einer Berührung oder Belastung viel mentale Kapazität beansprucht. Insofern bemerken wir, dass ein Ballengang nicht mehr funktioniert, selbst bei leichten Belastungen.

Was passiert genau dabei?

  • Beim Tragen eines Rucksacks verschiebt sich die Schwerkraftlinie im Körper

— Zur Fortbewegung brauchen wir eine andere muskuläre Ansteuerung als gewohnt

— Die Zeitpunkte zwischen Abdruck und Landen verschieben sich leicht

— Die Schrittlänge fällt bei gleichem, gewohnten Bewegungsablauf anders aus als ohne Last

— Als Folge davon landen die Füße nicht mehr so unter dem Rumpf, dass eine Nutzung der körpereigenen Feder möglich ist

  • Beim Tragen mit den Armen vor oder neben dem Rumpf geschieht grundsätzlich das Gleiche

— Zusätzlich sind die Arme und damit der Schultergürtel/Brustkorb von dem Tragen blockiert, so dass eine gegenläufige Rotation mit dem Becken stark eingeschränkt ist

— Wir verlieren den faszialen Schwung aus der Körpermitte

— Wir brauchen somit mehr Muskelkraft aus den Beinen und steuern die Gehbewegung entsprechend aus Beinarbeit, was einen Ballengang unmöglich macht.

  • Den gleichen Effekt, verstärkt, haben wir bei asymmetrischer Belastung (Tragen auf einer Seite). Die Einschränkungen im Gehen sind hier in der Summe am größten.
  • Zuletzt ist auch die Aufmerksamkeit auf das Tragen gerichtet und nicht mehr auf das Bewegen insgesamt. Das bedeutet, dass eine nicht 100% automatisierte körpergerechte Bewegung in solchen Fällen durch jede die Körperstatik störende Last stark genug beansprucht/beeindruckt ist, dass wir dazu neigen, uns viel mehr anzustrengen als notwendig und jede Leichtigkeit aus unbelasteten Situation verloren geht.

Was bedeutet das in der Praxis?

— Einerseits benötigt das Tragen schwerer Lasten tatsächlich mehr Statik im Körper als wenn nur leichte Lasten getragen werden. Das bedeutet, dass ab einem individuellen Punkt kein dynamisches Gehen mehr möglich ist und wir dann tatsächlich fast nur noch muskulär arbeiten können. Die Bewegung wird dann auch langsamer und belastet die Struktur spürbar. In diesem Fall ist die richtige Ausrichtung des Rumpfes besonders wichtig, um Gelenke möglichst gleichmäßig zu belasten und so kräftesparend wie möglich zu arbeiten. Von diesem Fall sprechen wir hier jedoch nicht, da es nicht zur Anwendung des Ballengangs im Alltag gehört.

— Jedoch für die alltäglichen kleineren Belastungen können wir lernen, unsere Bewegung anzupassen.

  • Mit Rucksack ist es wichtig, den Körperschwerpunkt zunächst im Stehen zu justieren. Das Losgehen muss ohne Anstrengung in den Beinen, alleine durch das Einbringen des Rumpfes entstehen. Die Justierung erfolgt dabei hauptsächlich im Sprunggelenk, das einen etwas anderen Winkel hat, als ohne Last.
  • Beim Tragen mit den Händen ist zusätzlich die Art und Weise der Armarbeit wichtig. Auch wenn die Arme gebeugt sind und/oder die Hände mit Greifen und Halten beschäftigt sind, sollten die Schultern neutral bleiben und der Halteaufwand des Gewichts mit so wenig Kraftaufwand wie nötig erfolgen. Es braucht ebenso eine Isolierung der Arme vom Rumpf, damit der Brustkorb trotz des Tragens noch mitrotieren kann.
  • Einseitiges Tragen ist generell ungünstig. Hier ist darauf zu achten, dass am besten ein Gegengewicht auf der anderen Seite mitgetragen wird. So gesehen tragen sich zwei Getränkekisten viel besser als nur eine, vom Gehen her. (Gleiches gilt übrigens für Rucksack mit gleichzeitigem Bauchsack oder gar Tragetuch, falls gerade relevant) Wenn das nicht möglich, ist es nützlich, die Schultern auf gleicher Höhe zu halten, wobei beide Schultern so tief wie möglich in der Balance sind. Und natürlich häufig die Seiten wechseln.
  • Leser des Email-Kurses können sich Lektion 9 nochmal anschauen, da ist die Funktion der Ferse genauer erklärt und auch wo man eher Statik und Dynamik bei Bewegungen braucht. Seminarteilnehmer können nochmals genauer auf die Funktion des Bauches beim Gehen achten hinsichtlich des Gehens unter Last. (Stichwort Treppensteigen, Psoas)
  • Damit wären wir beim Punkt der Achtsamkeit und Bewusstheit. Wenn wir uns auf die anstrengungsfreie Funktion unseres Körpers im Ganzen konzentrieren, fällt das Augenmerk auf das eigentliche Tragen quasi weg. Ziel ist es, einerseits „automatisch“ zu tragen, dabei viel weniger Kraft zu gebrauchen und ansonsten umso mehr auf das Bewegungsgefühl im Körper zu achten. Es wird hier immer mehr deutlich, dass es beim Ballengang nur wenig auf die Extremitäten ankommt, also auf das was Füße und Hände tun, sondern darauf, WIE Bewegung aus der Körpermitte angesteuert wird. Die Extremitäten folgen entsprechend fließend und benötigen wenig eigene Kraft aus Muskeln.
    So wird die Bewegung ökonomisch und Lasten kosten nicht unnötig viel Energie in Form von Muskelarbeit und Aufmerksamkeit.

 

  • Ich wünsche viel Spaß beim Ausprobieren!

 

Euer

Stefan Heisel

 

2 Gedanken zu „Ballengang im Alltag (4)

  1. Lieber Stefan

    Ich kann dem nur beipflichten. Ich lebe seit 4 Jahren fast ausschliesslich barfuss und liebe Wanderungen und Trekkings. Ich bin schon mehrere Trekkings mehrheitlich barfuss gegangen. Ich kann daher viel aus der Praxis beisteuern….
    Seit ich barfuss gehe, mag ich im Alltag keine Handtaschen mehr haben – sie stören meine Bewegung. Genau wie Du schreibst. Ich verwende daher nur noch Rucksäcke.
    Bei Tageswanderungen ist der Rucksack nicht schwer, der stört mich gar nicht – ich lege allerdings Wert auf gut sitzende Rucksäcke!
    Bei Trekkings ist es sehr wichtig, einen gut sitzenden Rucksack mit Hüftgurte zu haben und zu wissen, wie ein Rucksack richtig gepackt wird. Ein gut sitzender Rucksack, der richtig gepackt ist (das Hauptgewicht auf Schulterblatthöhe!), schränkt die Bewegung nicht wirklich ein, ein gutes Tragesystem erlaubt die Brustkorbbewegungen und Hüftrotation. Es ist zudem sehr vom Gewicht abhängig. Ein 10-Kilo-Rucksack, der meine gesamte Ausrüstung für Biwaks und Proviant für mehrere Tage enthält, ist gut auszuhalten (man muss sich allerdings erst mal daran gewöhnen!), währenddem 25 Kilo Proviant für die Alphütte eine Herausforderung sein können (anhängig auch vom Boden!). Je schwerer das Rucksackgewicht, desto schwieriger können die Füsse abfedern.
    Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, dass ein Rucksack gut sitzt, die Riemen (besonders die Lastausgleichsriemen oben an den Schulterträgern!) richtig eingestellt sind, der Hüftgurt satt anliegt und der Rucksack richtig gepackt ist. So kann die Bewegung nach wie vor aus dem Rumpf heraus erfolgen und die Füsse „laufen“ einfach mit.

    Liebe Grüsse
    Dorothea

    1. Hallo Dorothea, vielen Dank für deine wertvollen Anmerkungen!
      Das Thema wäre auch für den Bereich „Schulrucksack“ wertvoll. Manche Schulrucksäcke scheinen schwerer zu sein als die kleinen Träger …

      Herzliche Grüße ins Nachbarland

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